Er war das Nachwende-Starterkit für die freie Kulturszene in Thüringen
// Ich habe ihn dieser Tage im Keller wiederentdeckt – fast 30 Jahre, nachdem er mal seinen Dienst versehen hat: Ein Koffer aus harter Pappe, nicht allzu groß, aber dick und grau gemustert, mit bunten Bildern beklebt. Es war das Vorzeigemodell des “Kulturkoffers” der “Landesarbeitsgemeinschaft soziokultureller Zentren und Kulturinitiativen in Thüringen e.V.”. Damit zog der LAG-Vorstand damals vor die Presse. Im Koffer befanden sich zahlreiche Broschüren, die allesamt mit dem neuen Nachwende-Kulturmanagement zu tun hatten.
1993, im Gründungsjahr der LAG, gab es noch viel Unkenntnis und manch Unwägbares, auch Unverständliches, nach dem kulturellen Umbruch: Steuern, Abgaben, GEMA, Versicherungen, Arbeits- und Veranstaltungsrecht, technische Normen, Vereinswesen, Förderantragsmodalitäten usw. usf. – alles war neu. Freilich hatte es auch zu DDR-Zeiten viele kulturelle und künstlerische Initiativen gegeben, das waren Volkskunst-Zirkel, Kulturbund-Freundeskreise, Arbeitsgemeinschaften, Ensembles oder Kulturgruppen gewesen – aber keine Vereine. Und nun brauchte man Rat und Hilfe, um weiter existieren zu können.
Und diese Hilfe zur Transformation kam zunächst von westdeutschen Kollegen. Da gab es einen von der Bundesregierung geförderten “Kultur-Dienst”, bei dem der hessische Künstler Jürgen Klähn – ein Mitbegründer der Thüringischen LAG Soziokultur, und auch der Gestalter dieses Koffers – tatkräftig agierte. Und im damaligen Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur gab es mit Dr. Rolf Lettmann einen Ministerialdirigenten, der erst einmal die neuen Vereine darauf aufmerksam machte, dass das, was die da tun, unter dem Begriff “Soziokultur” firmieren kann. Und er hatte vorsorglich schon mal – ohne Auftrag – Gelder für diese Soziokultur in den Landeshausalt einstellen lassen.
Und nun galt es, darüber auch zu informieren und zu beraten. Und das geschah u.a. mit diesen Broschüren und Prospekten, die damals von der Bundesvereinigung Soziokultur und anderen Verbänden zur Verfügung gestellt worden waren. Die LAG-Mitglieder erhielten alle einen mit solchen Ratschlägen gefüllten Koffer, jetzt allerdings nicht mehr in der “nostalgischen” Ausführung, sondern als preiswerteren Plastekoffer, dennoch farbig beklebt.
Und als die Thüringer Vereine die neue Verwaltung halbwegs in den Griff bekommen hatten, und sich wieder mehr der Gestaltung von Kultur widmen konnten, da mussten die Helfer von Kulturdienst und anderen Gesellschaften feststellen, dass Vielfalt, Dichte und Qualität der Thüringer Kulturinitiativen doch so enorm sei, dass man jetzt von hier aus gern auch die anderen Bundesländer beraten könne …
Text: Wolfgang Renner (Gründungsmitglied der LAG Soziokultur Thüringen)
Fotos: LAG Soziokultur Thüringen e.V.